Let’s Talk about Numbers, Baby! Ein Plädoyer für Transparenz unter Selbstständigen

Am Mittwoch ist etwas Seltenes geschehen: Ich habe das Haus verlassen, lol. Genauer gesagt: Ich bin zu einem Offline-Netzwerkevent in der Nachbarstadt gegangen. Thema der Diskussionsrunde war „Selbstständigkeit oder Unternehmertum? Hauptsache Machen!“ und ich hatte gehofft, damit ein bisschen aus meiner Online-Business-Bubble rauszukommen.

Ziemlich am Anfang wurde in einer Mini-Vorstellungsrunde abgefragt, ob sich die Anwesenden als Selbstständige oder Unternehmer:innen identifizieren. Gar nicht mal so wenige konnten aber nicht klar mit „S“ oder „U“ antworten, sondern mit „bin nebenberuflich selbstständig“ oder „bin angestellt und überlege, ob ich gründen will“.

Diese Leute waren dann auch etwas später gefragt, als es in der Diskussion darum ging, was genau sie vom „Machen“ abhält. Es wurden verschiedene Gründe genannt, aber die meisten treten sich um den Themenbereich Finanzen und Bürokratie:

  • kann ich meinen Lebensstandard aus dem Angestelltenjob halten?
  • was, wenn ich nicht genug verdiene?
  • wie funktioniert das mit der Bürokratie?
  • Sozialversicherungsbeiträge, Steuern, IHK-Beitrag: Was kommen eigentlich alles für Ausgaben auf mich zu?

Ich kann absolut nachvollziehen, dass Gründer:innen in spe vor diesen Themen Angst haben. Vor allem, wenn noch Unverständnis aus dem Umfeld dazukommt. Über Sprüche alá „wow, mutig!“ oder „Hat dein Mann denn wenigstens einen richtigen Job?!“ haben wir uns bei der Netzwerkveranstaltung auch unterhalten; und das passende Bullshit Bingo gibt’s bei Jenni.

Woher bekommen wir Infos über Zahlen und Finanzen in der Selbstständigkeit?

Angenommen, ich wäre jetzt noch nicht selbstständig, sondern eine der Frauen vom Netzwerkevent, die mit dem Gedanken spielt. Wo könnte ich jetzt meine Infos herbekommen?

Ich könnte die Website des Finanz- oder Gewerbeamts meiner Stadt ansteuern; oder die Website meiner Krankenkasse; oder der IHK.

Wer schonmal auf einer dieser Websites war, weiß: leicht verständliche Infos kriegt man da nicht. Entweder sie sind nur Hochglanzprospekte (looking at Krankenkassen) wo man für verbindliche Infos einen Termin ausmachen muss; oder sie sind nur die digitalen Äquivalente eines Ständers, wo man sich das passende Formular für sein Anliegen raussuchen kann.

Ich könnte googlen und auf einer Website oder einem Blog mit Finanztipps landen.

Hier gehen direkt meine Bullshit-Antennen an. Denn wir wissen ja, dass die Zeit, in der man Websites einfach nur aus Jux und Dollerei gebaut hat, vorbei sind. Ich muss also davon ausgehen, dass ich hier entweder auf einem Blogpost lande, der als Marketing für ein Produkt (z.B. einen Kurs) gedacht ist; oder dass hier Affiliate-Links zu finden sind.

Außerdem sind die meisten solcher Seiten auf Angstellte ausgelegt. Wie oft habe ich schon Sachen gegoogelt alá „kann ich xy von der Steuer absetzen?“ und finde nur Infos für Angestellte!

Ich könnte an einer Gründungsberatung oder einem -seminar teilnehmen.

Hier sind die Infos wahrscheinlich praxisorientierter und neutraler; aaaber es kommen die Geld- und die Terminfrage ins Spiel. Nicht alle Beratungsangebote sind kostenlos, und höchstwahrscheinlich gibt es nicht zufällig ein passendes Seminar nächste Woche. Blöd, wenn man *jetzt* Antworten braucht.

Noch ein Kontraargument hier: nicht alle Berater:innen kennen sich mit deinem Geschäftsmodell aus. Die IHK-Beraterin kann dich bestimmt darauf hinweisen, was du bei einem Mietvertrag für ein Ladenlokal beachten muss, aber ob sie sich mit der Versteuerung von Affiliate-Einkommen aus verschiedenen Ländern auskennt..?

Ich könnte mich bei YouTube oder in den sozialen Netzwerken umschauen.

Oh, hier gibt es ja plötzlich Leute, die über Zahlen sprechen! Hier erzählen Online-Unternehmerinnen was sie beim letzten Launch eingenommen haben oder welche ihrer ‚passiven‘ Einkommenströme wie viel zu ihrem Monatsumsatz beigetragen haben. Spannend! Zumindest auf den ersten Blick.

Auf den zweiten zeigt sich: Das ist meist auch nur Marketing. Die mit dem Launch-Income-Report verkauft dir nämlich einen Launch-Kurs. Und die mit den passiven Einkommensströmen einen Affiliate-Kurs. Und der nächste ein Business-Coaching… Na klar zeigen die gern ihre Zahlen! Ob sie aber stimmen? Ob da brutto-Zahlen als netto ausgegeben werden? Ob der Umsatz toll ist, aber mit ner miesen Gewinnmarge? Who knows.

Zahlen zu nennen ist nur wertvoll, wenn der Kontext nicht verschwiegen wird

Wenn Zahlen nur geteilt werden, um zu motivieren (alá: schau, was möglich ist!) ist das die eine Sache. Wenn sie aber als „Beweis“ oder „Testimonial“ dienen sollen, dann *muss* Kontext dazu!

  • ist das Umsatz oder Gewinn?
  • ist das brutto oder netto?
  • was ist überhaupt dein Geschäftsmodell?
  • für wie viele Monate muss dein Launch-Einkommen reichen?
  • wie ‚passiv‘ ist dein Einkommensstrom wirklich?
  • wie viel Vorbereitungszeit ist in deinen Launch geflossen?

Wenn jetzt jemand sagt: ohje Kato, da verlangst du aber wirklich viel Transparenz von den Business-Gurus! Ja ne. Sie können es ja einfach lassen, von ihren ominösen „10k Months“ zu sprechen, wenn sie diesen Kontext nicht geben wollen.

Über Geld spricht man nicht

Das ist wirklich so ein beschissenes Kulturding. Indem wir nicht über Geld sprechen, schneiden wir uns nur ins eigene Fleisch. Cui bono? Wer profitiert denn davon, dass wir alle so ein Geheimnis darum machen, wie viel wir verdienen?

Es ist doch nur Scham. Es ist doch Angst davor, beim sozialen Vergleich schlecht abzuschneiden.

  • Wie, du nimmst nur 80€ Stundenlohn? Ich nehme mehr, hehe!
  • Aha, du zahlst also 400€ Krankenkassenbeitrag? Dann kann ich ja ausrechnen, was auf deinem letzten Einkommenssteuerbescheid stand… *holt Taschenrechner raus*
  • Ach, du musst noch keine Gewerbesteuer zahlen? Na dann läufts ja nicht bei dir…

Oder andersrum, was wenn die Leute die Zahlen zu hoch finden?

  • Eine Website bei dir kostet 5000€? Puh, das ist aber teuer!
  • So viel zahlst du dir privat aus? Wow, Krösus!
  • So viel Steuer zahlst du? Da nutzt du wohl noch nicht die ✨ Steueroptimierungstricks ✨ 😉

Wie man es macht, macht man es verkehrt.

Und ja, ich werde jetzt auch nicht mit gutem Beispiel vorausgehen und meine Kontoauszüge oder meine Buchhaltung veröffentlichen. Aber: ich will dazu appellieren, dass wir uns untereinander mehr von unseren Zahlen erzählen.

Let’s talk money

Bei dem Netzwerkevent ging es u.a. darum, Angst zu haben, nicht genug für die Lebenshaltungskosten zu verdienen. Die eine Panelteilnehmerin hat zwei Kinder, ein Haus abzubezahlen und durch ihren vorherigen Managerjob einen hohen Lebensstandard. Ein Teilnehmer im Publikum sagte bei der Vorstellungsrunde, er hätte mit 18 seine Marketingagentur gegründet. (Sau cool übrigens!) Wie nice wäre es, wenn man dann mal sagt: so-und-so-viel brauche ich im Monat für meine Hausrate? oder: so-und-so-viel vom Gewinn meiner Marketingagentur konnte ich reinvestieren, weil die Miete meines räudigen WG-Zimmers gering war?

Das ist kein Vorwurf an die Leute vom Event, versteht mich nicht falsch.

Sondern das ist ein Appell an euch: Wenn eine Freundin von euch sagt, sie spielt mit dem Gedanken an die Selbstständigkeit, aber versteht das mit den Steuern nicht / hat Horrorstories von Krankenkassenbeitragsnachzahlungen gehört / weiß gar nicht, wie viel sie als Selbstständige dann eigentlich verdienen muss… Dann schmeißt dieses „Über Geld spricht man nicht“ Ding doch mal aus dem Fenster und redet Tacheles. Denn sonst hört sie den nächsten Insta-Business-Coach „alles unter 10k ist ein Hobby“ labern und fühlt sich entmutigt.

Ich mache das mit Freundinnen, und ich mache das im Workshop Accelerator, wo wir viel über Honorare und Angebote sprechen. Ich hoffe, dass wir in Zukunft alle ein bisschen transparenter über den Zahlen-Teil der Selbstständigkeit sprechen können und uns weniger von Larrys beeinflussen oder verunsichern lassen 🙂

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