Bloß kein falsches Wort.

Neulich habe ich hier auf dem Blog etwas gesucht und festgestellt, dass ich in diesem älteren Kolumnenbeitrag einen Cliffhanger aufgemacht, aber nie aufgelöst habe: Im Text „Einmal ist, äh, lohnt sich keinmal“ geht es darum, dass sich einmalige Kurse an Weiterbildungsinstituten aufgrund der niedrigen Honorare nicht lohnen. Erst, wenn man sie mehrmals halten kann (ohne bei der Vorbereitung immer wieder bei 0 zu starten), wird’s finanziell interessant. Ich schrieb:

Übrigens, um das einzuordnen: Ich verdiene mit ein oder zwei Workshops in der Wirtschaft so viel wie mit dem Uni-Honorar für ein ganzes Semester. Aus ökonomischen Gesichtspunkten ist es also Quatsch, dass ich weiterhin an der Uni bin. Ich mache es aber trotzdem, weil mir (a) die Arbeit mit den Studis Spaß macht und (b) ich dort eine kreative Freiheit in meinen Seminaren habe. Das hat übrigens einen kuriosen Grund. Aber davon erzähle ich euch ein andern Mal.

So, heute ist der Tag gekommen – heute erzähle ich euch mehr über den absurden Grund, warum ich bei Uni-Kursen außergewöhnlich viel Gestaltungsfreiheit habe.

Liegt es daran, dass man mir und meinen pädagogischen Fähigkeiten so sehr vertraut? Oder sind die Mitarbeitenden so überfordert, dass Externe nicht betreut werden können? Nein, der Grund liegt im… Steuer- und Sozialversicherungsrecht ?

Dazu gebe ich euch kurz den Background und dann als Belohnung, wenn ihr den langweiligen Teil hinter euch gebracht habt, erzähl ich euch noch ein paar witzige Anekdoten.

Okay, zum Hintergrund: Externe Referent:innen, Dozent:innen, meinetwegen Trainer:innen, die an Hochschulen oder anderen Weiterbildungsinstituten unterrichten, sind in der Regel selbstständig bzw. freiberuflich tätig. Auf die genaue Abgrenzung und Definition der beiden Begriffe verzichte ich an dieser Stelle – wichtig ist einfach nur zu wissen, dass ich mir als selbstständige Dozentin selber Auftraggeber:innen suchen muss, kein festes Gehalt bekomme, mich selber um Altersvorsorge kümmern muss, hohe Krankenkassenbeiträge zahlen muss und natürlich Buchführung, Steuererklärung und Co gewissenhaft erledigt werden wollen.

Im Gegensatz dazu ist eine abhängige Beschäftigung (also ein Angestelltenverhältnis) zum Beispiel dadurch definiert, dass mein:e Chef:in mir weisungsberechtigt ist, meine Arbeitszeiten und -orte festgelegt werden und ich in die Betriebsstruktur eingegliedert bin.

Falls man als selbstständige Person oft für die gleiche Kundin arbeitet, muss man aufpassen, nicht in die Scheinselbstständigkeit zu geraten. Sprich, man ist offiziell selbstständig/freiberuflich, arbeitet aber fast wie eine Angstellte/ein Angestellter. Für mich war das nie eine Gefahr oder ein Problem, weil ich lieber mit vielen verschiedenen Kundinnen einmalig arbeite statt mit mit Riesenaufträgen an wenige Institute zu binden. Grundsätzlich ist das in der Weiterbildungsbranche aber ein Problem: Wenn da Leute jahrelang die gleichen Kurse wieder und wieder geben, besteht die Gefahr schon eher.

Die größte Angst vor der Scheinselbstständigkeit haben aber nicht die Lehrenden, sondern die Auftraggeber:innen. Warum? Nun, durch ein sogenanntes Statusfestellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung kann es passieren, dass die Arbeitsbedingungen angeschaut werden und die Clearingstelle entscheidet: Hey, deine freie Mitarbeiterin ist eigentlich gar nicht frei! In dem Fall bekommt die Person den Status einer Arbeitnehmerin und damit alle Benefits einer Angestellten: z.B. Urlaubtstage, Kündigungsschutz oder Sozialversicherungsbeiträge. Sprich, dann müssen Beiträge nachgezahlt werden und es wird teuer.


Ich will an dieser Stelle nicht so tun, als wüsste ich genau üner die Gesetzeslage oder den Prozess Bescheid – wie gesagt, für mich war das nur insofern ein Problem, dass die Auftraggeber:innen sich doppelt und dreifach absichern, wenn sie mich für irgendwas anheuern, und ich deshalb auf dem Weg zum Auftrag durch diverse Reifen springen muss:

Da ist zum Beispiel die Hochschule, die für jeden Popelauftrag (4 Stunden Workshop ?) einen Papierkrieg anzettelt. Nicht nur ein seitenlanger Dienstvertrag; auch die Anlage mit den 30 krumm und schief gelayouteten Kästchen wartet jedes Mal auf mich. Ja, ich habe neben euch noch andere Auftraggeber:innen. Nein, ich habe keine festen und regelmäßigen Arbeits- und Anwesenheitszeichen bei euch einzuhalten. Ja, ich habe die selbstständige Tätigkeit beim Finanzamt angemeldet. Nein, ich bin nicht nicht von der Umsatzsteuer befreit ?

Beim Ausfüllen der diversen Zettel kann ich wenigstens ungeniert mit den Augen rollen. Die Contenance zu wahren wird schwieriger, wenn ich mit meinem Auftraggeber in einem Büro stehe. (Pre-Panini natürlich.)

Mehrmals habe ich schon den Terminkalender-Tanz aufgeführt. Das funktioniert so: Ich spreche mit dem Abteilungsleiter eines Weiterbildungsinstituts darüber, ob ich im kommenden Semester einen Kurs halte. Dann zückt der Abteilungsleiter einen Kalender mit Raumverfügbarkeiten – er wird sich aber hüten, mir zu sagen „Okay, nimm doch den Slot am Dienstag von 14-16 Uhr, da ist Seminarraum 3 frei.“ Oh nein, nein! Das könnte ich ja als Weisung interpretieren ? Stattdessen zählt der Ansprechpartner auf, welche Slots für meinen Kurs geschickt wären, weil ich da ja Seminarraum 3 benutzen ~ könnte ~. Er achtet peinlich genau darauf, dass ICH dann sage, dass ich den Kurs gerne von 14-16 Uhr machen will. Denn dann habe ICH ja die Entscheidung getroffen. Als unabhängige Unternehmerin. Merkt ihr, wie lächerlich das ist?!

Die bisher absurdeste Situation hatte ich, als ich zum ersten Mal einen Deutschkurs an der Uni übernommen habe. Ich hatte einen DaF-Bachelor in der Tasche und dachte mir, dass ein paar Stunden Deutschunterricht doch ein guter Nebenjob im Masterstudium wären. Zum Zeitpunkt meines Gesprächs mit dem Abteilungsleiter waren die meisten Kurse schon eingetütet, ich hatte nur noch die Wahl zwischen irgendwas kulturwissenschaftlichem und zwei Grammatikkursen (gleiches Thema, nur doppelt angeboten). Ich entschied mich für die Grammatikkurse und bat meinen Ansprechpartner, mir zu sagen, was denn in der Vergangenheit in diesen Kursen unterrichtet wurde, bzw. was in den vorherigen und nachfolgenden Kursen unterrichtet wird. (Ihr kennt ja sicher die Einordnung von Sprachkursen in die Stufen A1 bis C2 gemäß des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich vor allem mit Anfänger:innen auf den Stufen A1 und A2 geantwortet – ich traute mir durchaus zu, den Grammatikkurs auf B1/B2 zu unterrichten, aber für das Curriculum brauchte ich noch ne Orientierung.)

Tja, ratet was passiert ist? Der Abteilungsleiter hat herumgedruckst. Er konnte mir nicht sagen, was ich im kommenden Kurs unterrichten soll. Ich bin als freie Mitarbeiterin ja schließlich nicht weisungsgebunden ? Ganz ehrlich? Ich habe mich sehr verarscht gefühlt. Aus Angst davor, dass ich steuerrechtlich nicht mehr als 100% unabhängige Dozentin gelten könnte, konnte er mir nicht sagen, dass in dem Kurs Nominal- und Verbalstil; Infinitivphrasen und Komposita behandelt werden sollen?!

Zum Glück hat mir die Dozentin, die den Kurs in den vorherigen Semestern geleitet hatte, einige ihrer Arbeitsblätter gegeben, so dass ich mir ein einigermaßen sinnvolles Curriculum zusammenbauen konnte.


Wie gesagt, ich schätze es, diese kreative Freiheit zu haben – gerade bei Medienkursen. Aber ich fänds cooler, wenn dahinter Vertrauen in mich (und meine Kolleg:innen) ständ und nicht der fucking Paragraph 7 im Vierten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Wenn die Angst vor dem falschen Sozialversicherungsstatus unnötigen Verwaltungsaufwand mit sich bringt, die Terminfindung erschwert und vernünftige Briefings verhindert – dann ist das einfach nur unnötiger Quatsch, der dringend einer Reform bedarf.

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