Warum ich ungerne auf Ausschreibungen reagiere

Ich war neulich im @erzaehldavon-Twitter-Account eingeloggt und entdeckte beim Scrollen etwas vermeintlich passendes: eine Ausschreibung für zwei Workshops zu „Digitale Kommunikation“. That’s my jam! Als ich die Angebotsaufforderung dann runterlud und las, war meine Euphorie ganz schnell gestoppt und ich erinnerte mich, warum mich solche Ausschreibungen direkt abturnen:

Problem 1: Ich möchte, dass ein Mensch mir von den Problemen und Bedürfnissen erzählt, nicht ein hochgestochener Text in Akademikersprache. Vor allem möchte ich die Möglichkeit haben, nachzufragen und ins Gespräch zu kommen. Deshalb telefoniere ich tausendmal lieber mit einer potenziellen Auftraggeberin, statt nur einen Ausschreibungstext geschickt zu bekommen. (Obwohl ich sonst auch ein Fan von asynchroner und skalierbarer Kommunikation bin – hier ausnahmsweise nicht.)

Problem 2: Die Ausschreibung diagnostiziert schon, wo das vermeintliche Problem liegt. Manchmal sind die Ausschreibungen in ihren Wünschen so detailliert, dass ich mich frage, (a) woher die denn schon genau wissen, wo ihr Problem liegt – das ist nämlich gar nicht so einfach/ Stichwort Betriebsblindheit – und (b) warum sie es dann nicht einfach selbst lösen.

Das ist ein bisschen so, als würde ich zu meinem Hausarzt gehen und sagen „Hey, ich fühl mich nicht so gut, ich hab bestimmt Krankheit X“ und von ihm erwarten, dass er mir direkt ein Rezept für mein Wunsch-Medikament ausstellt. (Das löse ich dann aber eh erst in ein paar Monaten ein, siehe Problem 4.) Stattdessen würde mein Arzt ja mit seiner Erfahrung, Ausbildung und Untersuchungsmethoden erstmal diagnostizieren, was ich wirklich habe. Vielleicht hatte ich Recht und war wirklich Krankheit X, vielleicht auch etwas ganz anderes, wogegen das Wunschmedikament gar nicht helfen würde. (Ja, ich bin in dieser Analogie die Ärztin ??‍⚕️ #theaudacity)

Problem 2b: Die ganzen Rahmenbedingungen sind schon festgelegt, zum Beispiel wie viele Zeitstunden der Workshop umfassen soll. Das nimmt mir die Freiheit, selber ein passendes Programm zusammenzustellen; beziehungsweise zwingt es mich dazu, mich zu rechtfertigen, warum ich 6 Zeitstunden nicht ausreichend finde und in meinem Konzept 8 vorsehe.

Problem 3: Ich bin nur eine von vielen. Ich weiß, ich bin verwöhnt, aber ich liebe den Brand-Bonus, den erzähl davon mir gibt. Ich kriege normalerweise Anfragen von Leuten, die unsere Website toll finden oder Luisa & mich schonmal irgendwo live erlebt haben und cool fanden. Diesen Leuten muss ich nicht unseren Ansatz erklären, sie haben ihn schon erlebt und finden ihn gut. Bei dieser Art von Anfrage stehe ich nicht in Konkurrenz mit anderen Dozent*innen.

Bei Angebotsaufforderungen stehe ich im direkten Vergleich mit anderen Dozent*innen oder Agenturen. Oh guck mal, die macht das für 150€ weniger. Oh der da ist terminlich flexibler. Die hier kommen aus unserer Stadt und bräuchten kein Hotel. Und der hier macht es auch in 6 Stunden, warum behauptet Kato dann, man bräuchte 8?!

Problem 4: Der Prozess dauert laaaaange. Der eine der beiden Workshops soll erst im November stattfinden. In einem halben Jahr. Die Leute dort haben das Problem schon erkannt, wollen sich aber erst in einem halben Jahr (!!!) damit beschäftigen. Boah, das frustriert mich. Ich weiß, was jetzt kommt. Nennt mich naiv und realitätsfremd. Erzählt mir, dass das ganz normal ist und bei größeren Unternehmen oder Organisationen Standard ist. Bei manchen ist ein halbes Jahr sogar flott. I know. Was denkt ihr, warum ich nicht in so einem Setting arbeiten will? ?


Natürlich muss ich meine Aussage jetzt nochmal abmildern und erzählen, dass ich vor kurzem eine sehr positive Erfahrung mit einer Ausschreibeaufforderung gemacht habe und daraus ein angenehmer Job mit engagierten Teilnehmer*innen geworden ist. Trotzdem sind mir normale Anfragen tausendmal lieber.

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