Über den Sinn und Unsinn von Teilnahmebescheinigungen

Neulich habe ich (mal wieder, wir schreiben schließlich das Jahr 2020) ein Webinar gehalten. Nach der Verabschiedung bin ich noch im Webinarraum geblieben, um eine kurze Nachbesprechung mit den Auftraggeberinnen führen zu können. Plopp, plopp, plopp haben sich alle ausgeloggt. Nur Philipp blieb. Kamera aus, kein Mikrofon angeschlossen, aber noch immer anwesend. Oder eben nicht. Schrödingers Zoom-Teilnehmer.

Schweigend und unsicher grinsend warteten wir eine gute Minute, bis eine der Auftraggeberinnen die Gastgeberin aufforderte, ihn manuell rauszuwerfen.

„Tja, wer weiß, ob er wirklich so aktiv teilgenommen hat“, sagte B.

Machen wir uns nichts vor. Selbstverständlich hat er nicht aktiv teilgenommen. Er hatte bestimmt den Browsertab irgendwo in den Hintergrund verschoben und hat ein Youtube-Video geschaut, was gezockt oder war online shoppen. Oder Philipp war komplett afk – away from keyword. Aber wir wissen alle: Er wird die Teilnahmebestätigung trotzdem bekommen.

Die vorgetäuschte Teilnahme ist bei Webinaren besonders einfach („sorry, hab keine Webcam/ die Internetverbindung reicht nicht für Video/ Ich mute mich mal, ist so laut hier im Hintergrund“), geht aber offline natürlich ebenso:

  • Der Student im Hörsaal chattet via WhatsApp Web mit seiner Freundin, statt mitzuschreiben.
  • Die Clique wechselt sich beim Besuch der Vorlesung ab und unterschreibt für die Abwesenden.
  • Die Studentin nutzt ihr iPad mit Pencil nicht für Notizen, sondern ein neues Kunstwerk in Procreate.
  • Dieses eine Arschloch lässt sich in der Gruppenarbeit von den Mitgliedern durchschleifen.
  • Irgendein edgy Typ sitzt nasepopelnd in der letzten Reihe, will dann aber doch den Wisch dafür haben.

Wir kennen das alle aus Schule, Uni oder anderen Weiterbildungssituationen. Wir haben es mitbekommen oder waren sogar selber Nutznießerinnen.

Viel zu selten wird in solchen Situationen auf den Tisch gehauen. Klar, der Prof, der gerade den Hörsaal mit 300 Leuten bespaßen muss, kann nicht Einzelne zum Zuhören ermahnen. Wenn ich gerade eine gute Energie im Kursraum habe, opfere ich sie nicht mutwillig, um Laura zu ermahnen, ihr Handy wegzulegen. Wenn ich im Webinar die Teilnehmer*innen bitte, etwas in den Chat zu schreiben und nur die Hälfte mitmacht, kann es (außer Abwesenheit) viele andere Gründe für Nichtbeteiligung geben. Vielleicht tippt da jemand langsam, vielleicht überlegt jemand noch oder ich habe die Frage nicht präzise genug gestellt.

Letzten Endes ist es in einem Webinar von 90 Minuten auch schnurzpiepegal, ob wir zwischendurch was in den Chat geschrieben haben oder nicht. Und trotzdem wollen wir unsere Teilnahmebescheinigungen.

Irgendwo abgespeichert, irgendwo abgeheftet. Hauptsache, man hat sie.


„Mit dem Rücken zum Whiteboard“ ist meine Dozentinnen-Kolumne. Neue Beiträge alle vierzehn Tage. Abonniere den Blog per E-Mail:

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