Hört auf, „Tipps“ zu geben. Und in Reels in die Luft zu zeigen.

In meinem letzten Beitrag habe ich gegen Instagram Reels geschossen. Das war quasi die Einleitung zu diesem Teil. Denn ein großes Problem, was ich mit Reels habe, ist die Verkürzung und die Beschränkung von Content auf „ein paar Tipps“.

Disclaimer: ich meine nicht, dass man mit Kurzvideos nicht coolen Content machen kann. Auf TikTok sind zahlreiche Beispiele für klasse Storytelling, beeindruckende Filmtechnik und 1A Humor in 60 Sekunden oder weniger. Aber Reels sind nicht TikTok-Videos in grün. Viele Reels werden nicht gemacht, weil die Leute Bock auf Reels haben, sondern weil man sie halt wie im vorherigen Text argumentiert um der Reichweite willen machen „muss“. Und die Art von Account, die ich mit diesem Text meine, war vorher nicht auf TikTok. Ich beziehe mich vor allem auf „Advice-Accounts“ . Diese stehen in der Regel nicht alleine, sondern sind ein Top-of-Funnel-Marketingkanal für irgendeine Dienstleistung oder ein Produkt. Der Content besteht aus „hilfreichen“ Beiträgen, die Nutzer:innen dann jeweils dazu bringen sollen, für noch mehr „Tipps“ ein Freebie runterzuladen oder ähnliches.

Was macht ein Advice-Account, der seine ersten Reels filmen will? Klasse „Ich tanze/wackle mit der Hüfte/schnipse im Takt und zeige in verschiedene Richtungen um mich herum, wo ich dann Wörter einfüge“-Videos. 🙃

Das ist problematisch, weil a) die Videos oft unfreiwillig komisch sind und nicht zur Brand passen und b) weil die Tipps nicht wertvoll sind. (Und dann kommt auch noch der Insta-Algorithmus und gibt dem Ding ne Riesenreichweite, weil, is ja n Reel.)

schaut mal, ich werd sogar zu Poetin. (Ja, das ist ein Haiku!)

„Tipps“ sind wertlos

Ich hab früher Mentorings zu Passion Projects gemacht. Eine meiner Mentees bat ich, auf ihrem Blog eine der Kategorien umzubenennen. Ihr könnt an der Stelle sicher ahnen, wie die Kategorie hieß: „Tipps für [ihr Blogthema]“ .

Ich habe eine Abneigung gegen Tipps, und ich verrate euch warum:

Tipps sind losgelöst, ohne Kontext. Gerade der ist aber wahnsinnig wertvoll! Ein einzelner Tipp (z.B. zum Kochen) ist nie so wertvoll wie ein ganzes Rezept, eine Anleitung oder Hintergrundwissen, warum etwas so ist. Plus: Wenn ich den Tipp dann mal wirklich gebrauchen kann – erinnere ich mich wohl an ihn?!

Tipps sind oft grotesk verkürzt und werden dann eh nur zu Allgemeinplätzen:

3 Tipps zum Abnehmen

  • iss weniger Süßigkeiten
  • iss mehr Gemüse
  • beweg dich mehr

Wow, groundbreaking.

5 Lerntipps für Studis

  • such dir einen ruhigen Ort
  • schreib dir einen Lernplan
  • lass dich nicht ablenken
  • mach dein Handy aus
  • mach regelmäßig Pausen

Wie innovativ.

Da wären wir auch schon bei dem 3-Tipps-Format. Die sogenannten Listicles sind beliebt, sowohl auf Konsumenten- wie Rezipientenseite. (Es gibt sogar ein Spiel dazu. Wenn ihr noch nicht wisst, was ihr mir zum nächsten Geburtstag schenken sollt…) Wenn man alles in 3 Schritte, 5 Tipps oder 10 Fakten quetscht, sucht man sich irgendwelche Filetstückchen raus, die gut ins Listicle passen. Andere Listicle-Formate (z.B. 3 Schritte, 3 Mythen, die 3 wichtigsten Argumente, …) finde ich weniger schlimm als „Tipps“, weil sie einfach mehr Kontext bieten. Sprich, ich würde lieber ein Reel angucken (oder einen Blogpost lesen, oder einen Podcast hören, …) der heißt „Wie ich in 3 Schritten mit Canva meine Pinterest-Pins designe“ als „3 Tipps für Canva“. Oder 33.

Tipps differenzieren nicht. Wenn du Bewerbungshilfe brauchst und zu einer Bewerbungstrainerin gehst, würde sie dir sicher unterschiedliche Ratschläge geben, je nachdem ob du dich für einen Ausbildungsplatz bewirbst oder eine Senior-Position. Bei „Tipps“ werden durch die Verkürzung alle über einen Kamm geschert bzw. die „Tipps“ richten sich an die Mehrheit, nicht Sonderfälle. Beim Bewerbungsbeispiel wäre das nicht schlimm; die Bewerberin für die Senior-Stelle weiß sicher, dass dabei die Uhren anders ticken. Aber was sagt die Studentin mit den 3 kreischenden Homeschooling-Geschwistern wohl zum Lerntipp „Such dir einen ruhigen Ort“?

Noch ein Hot Take: nicht alle, die solche Tipps veröffentlichen, aber manche Creator:innen verkürzen die Tipps bewusst, so dass man sich überfordert fühlt und für die „Lösung“ dann die Expertin oder den Coach braucht. Vgl. dazu What-Why-How – NICHT der Golden Circle von Simon Sinek, sondern ein Marketingprinzip.

Und zu guter Letzt: Tipps treffen oft eine falsche Zielgruppe. Nehmen wir als Beispiel einen Webdesigner. Wenn er Content alá „Adobe XD oder Adobe Dreamweaver? 3 Tipps für die Auswahl“ oder „3 nützliche Tastenkombinationen im Elementor-Editor“ veröffentlicht, ist der für andere Webdesigner:innen nützlich, nicht aber für die Kundschaft. (Die wundert sich nur, was der Retro-Smiley XD mit Adobe zu tun hat.)

Übrigens, ich will noch erzählen, wie es bei der oben angefangenen Blog-Geschichte weiterging. Ich habe meine Mentee gefragt, ob sie nicht eine bessere, aussagekräftigere Beschreibung für die Tipps-Blogkategorie findet. Das hat sie, und aus „Tipps“ wurden mehrere konkrete Unterkategorien. Blogbesucher:innen finden so schneller zu passenden Artikeln!

Verkürzung durch Reels (und andere Kurzvideos)

Tipps und Buzzfeed-Style-Listicles sind nix Neues. Neu ist nur die extreme Verkürzung. Wenn die Tipps in anderen Contentformaten, z.B. Blogpost, Youtube-Video, Podcastfolge oder immerhin Insta-Karussell stattfinden, ist mehr Platz für Tiefe (Erklärung, Einordnung, Vor- und Nachteile, Demonstration oder anderer Kontext). Dadurch entsteht eher noch ein Mehrwert. Die pure Auflistung hingegen hat keinen Mehrwert – denn dann muss ich ja doch wieder googlen. (Oder das Produkt kaufen, oder das Coaching buchen, oder… you see.)

Ich denke, es ist mittlerweile klar geworden, dass ich Reels nicht mag. Dennoch sind sie nicht die einzigen Übeltäter. Auch auf TikTok gibts diese Art von Content (dann vielleicht mit dem Hintergedanken, dass es für den Algorithmus gut ist, wenn man ein Video mehrmals angucken muss, um alle kurz eingeblendeten Textfelder lesen zu können…) und YouTube hat vor kurzem seine Variante von Kurzvideos – Shorts – in 100 Ländern gelauncht. Damit wird es also für Creator:innen und Marketing-People nochmal attraktiver, Kurzvideos zu erstellen. Und nicht alle werden gut werden…

Positivbeispiel: Kurzvideos als Zusammenfassung des eigenen längeren Contents

Ein Beispiel für kluge (Zweit-)Verwendung von Shorts hatte ich gestern in meiner Abobox: Noah Kagan hat zu einem Thema (5 Post COVID Business Ideas) zwei Videos hochgeladen. Eines hat die üblicher YouTube-Länge (9 Minuten), das andere ist ein Shorts-Video (1 Minute). Ich bette die hier aus Datenschutzgründen nicht ein, aber sie sind verlinkt.

Sind alle 5 Ideen mit einer Mini-Erklärung im Kurzvideo? Ja. Ist das lange Video mit Beispielen und Begründungen viel gehaltvoller? Auch ja. Man muss dazu sagen, dass Noah viel Videoerfahrung hat, sehr schnell redet UND einen Videoeditor hat, der das Shorts-Kurzvideo mit B-Roll, Texteinblendungen, Sound und Co angereichert hat.

Negativbeispiel: Uninspiriertes Zeigen und Klatschen

Das Negativbeispiel will ich nicht direkt bloßstellen und verlinken, deshalb hier eine Beschreibung und ein anonymisierter Screenshot. Ein Account hatte mehrere dieser cringy „Ich zeige in die Luft und blende Stichworte ein“-Reels erstellt, bis die Community in den Kommentaren Feedback gab, damit doch bitte aufzuhören. (Blau ist der Creator, lila und gelb die Communitymitglieder)


Fazit: Es ist einfach, diesen Tipp-Content zu erstellen, aber auch faul. Wer wirklich etwas unterrichten oder erklären, jemanden überzeugen oder unterhalten will, findet bessere Formate.

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