Schwarze Kacheln

Letzte Woche habe ich mich bei einer Veranstaltung mit jemandem unterhalten und u.a. von meinen Uni-Kursen erzählt. „Aha, mit lauter schwarzen Kacheln?“ fragte er mit einem spöttischen Unterton. „Was meinen Sie?“, fragte ich zurück. „Ich bin jetzt pensioniert, aber meine Kolleginnen und Kollegen von meiner alten Hochschule erzählen mir, dass sie nur noch schwarze Kacheln sehen. Die Studierenden machen sofort das Video aus und dann weiß man gar nicht, wer wirklich da ist und zuhört.“

Aah, das meinte er. Die schwarzen Kacheln bei Zoom und Co, die erscheinen, wenn man weder die Webcam aktiviert noch ein Foto hinterlegt hat. Ja, mit dieser Erfahrung sind die Kolleg:innen nicht alleine. Im ersten digitalen Semester (SoSe 2020) erschien in einem Online-Magazin mal ein Text darüber, wie respektlos die ausgeschalteten Videobilder seien und dass die Studierenden damit symbolisieren, dass sie gar keinen Bock auf den akademischen Diskurs haben. (Oder so ähnlich, will jetzt nicht ewig scrollen, um den Link rauszusuchen.) Halte ich für Quatsch, ehrlich gesagt.

Ausgeschaltete Videos mit Respektlosigkeit gleichzusetzen finde ich ein bisschen kurzgedacht. Es gibt ein Dutzend guter Gründe gegen das Videobild:

  1. die TN benutzen ein Gerät ohne eingebaute Kamera (z.B. einen Desktop-Computer oder einen günstigen Laptop)
  2. die Kamera ist kaputt
  3. die Kamera hat einen komischen/unvorteilhaften Winkel (z.B. bei einem Tablet)
  4. die Internetverbindung ist nicht stark genug (z.B. generell langsames Internet im ländlichen Raum oder parallele Benutzung der Mitbewohner:innen)
  5. die TN wollen nicht, dass man ihren Hintergrund/ihr Zimmer sieht
  6. die TN sind nicht allein und wollen nicht, dass man sieht, wie z.B. Geschwister oder Kinder im Hintergrund herumspringen
  7. die TN sind eh schon nervös (z.B. wegen eines Redebeitrags oder einer Frage) und fühlen sich „unbeobachtet“ sicherer
  8. die TN machen nebenbei etwas anderes (z.B. essen)
  9. die TN fühlen sich wegen ihres Äußeren nicht wohl (z.B. Pickel oder Hautausschlag)
  10. die TN wollen ein bisschen anonymer bleiben und legen keinen Wert auf den Beziehungsaufbau mit ihren Kommiliton:innen
  11. die TN wollen nicht auf der Aufzeichnung landen, sofern es eine gibt.
  12. die TN wollen einfach nicht 🤷🏻‍♀️

Ich denke, man liest es schon raus: Meiner Meinung nach gibt es viele valide Gründe, die Kamera auszulassen. Seien es äußere Umstände wie die schlechte Internetverbindung oder innere wie Nervosität. Deswegen sage ich am Anfang einer Veranstaltung, egal ob dreimonatiger Unikurs oder halbtägiger Workshop, meistens, dass ich mich über eingeschaltete Kameras freue, weil es meinen Job erleichtert, aber dass die TN auch ruhig ihre Kamera ausschalten können, wenn sie sich so wohler fühlen.

In meinen Uni-Kursen habe ich das „Problem“ tatsächlich kaum. (Problem in Anführungsstrichen, weil es für mich eigentlich keins ist.) Ich denke, dass das zum einen an der kleinen Gruppengröße liegt und zum anderen am interaktiven Format. Wenn ich in einer Vorlesung eh nur passiv zuhöre, bin ich wahrscheinlich eher versucht, die Kamera auszuschalten, als wenn ich in einem Seminar regelmäßig mitspreche und mich mit der Dozentin und meinen Kommiliton:innen unterhalte. Und selbst wenn jemand die Kamera aus hat – das bedeutet nicht, dass er oder sie nicht aufpasst. Das ist übrigens auch das, was ich meinem Smalltalk-Partner letzte Woche noch geantwortet habe, bevor das Programm weiterging: „Ich merke auch so, ob jemand mitmacht oder nicht“.

Zum einen, weil ich größtenteils im Modus Unterrichtsgespräch unterrichte. D.h., ich laber die Studis nicht voll (vgl. Vortrag vs. Workshop), sondern ich stelle Fragen, bitte um Erfahrungsberichte oder Meinungen. Da melden sich auch Leute ohne Kamera (oder ich spreche sie an) und auch durch Chat- und Breakout-Room-Beteiligung kriege ich mit, ob jemand da ist oder nicht.

Wenn Lehrende also bemängeln, dass sie gefühlt mit einer schwarzen Kachel-Wand sprechen und gar nicht wissen, ob ihnen überhaupt jemand zuhört, würde ich ihnen raten, durch Chat, Umfragen oder Tools (Mentimeter, Kahoot, Rückmeldung ohne Worte, …) zumindest für Interaktion zu sorgen. Ob eine Gruppe, die schon ein halbes Semester ohne Kamera dabei war, ihr Verhalten dahingegend ändert, ist fraglich. Dafür ist der Gruppendruck zu hoch: Wenn alle ihre Kamera ausmachen, mache ich das guten Gewissens auch. Beim nächsten Mal kann man dann von Anfang an probieren, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, so dass die Studis sich auch mit Kamera wohlfühlen.

Zum Abschluss noch ein paar witzige Zoom-Momente aus den letzten 2 1/2 Monaten Online-Lehre:

  • in einem Kurs hat die Person, die in den Meetings meist die Kamera aus hatte, das Seminar dann auch wirklich abgebrochen; aber in einem anderen Kurs war die kameralose Person mega fleißig und vom Projektstatus her eine der engagiertesten!
  • in einem anderen Kurs meinte eine Person, dass ihre Webcam kaputt sei. Ein paar Wochen später sah man aber ein verdächtiges dunkelgelbes Leuchten. Die Kamera war anscheinend gar nicht kaputt, sondern nur mit einem Post-It abgeklebt. (Ich könnt jetzt sauer sein, dass ich anscheinend angelogen wurde; aber ich kann verstehen, dass es wohl einfacher ist, den Dozierenden von einer kaputten Kamera zu erzählen…)
  • dass Studierende essen oder trinken ist ja nichts Neues. Eine Person hat mal (öfter!) während unserer Sitzungen Zigaretten geraucht. Ich muss zugeben, dass mich das beim ersten Mal etwas irritiert hat – aber naja, wenn sie sich so besser konzentrieren kann 🤷🏻‍♀️
  • in meinen Kursen gilt die Regel: Wenn ihr Haustiere im Zimmer habt – immer in die Kamera halten! Zuletzt durften wir so eine SEHR flauschige Katze bestaunen.
  • bei einer Teilnehmerin kam während ihres Wortbeitrags im Hintergrund der Vater mit einem Wäschekorb ins Zimmer. Ich bat sie spaßeshalber, ihren Papa von uns zu grüßen. Der kam dann prompt zum Computer und winkte uns freudig zu! (Ob er sofort gecheckt hat, dass seine Tochter gerade nicht mit einer Freundin chattet, sondern Uni hat, weiß ich nicht…)

von

Hi! 👋🏻 Das hier ist mein Online-Tagebuch. Wenn du auf diesen Eintrag antworten willst, schreib mir doch bei Instagram oder Twitter. Du findest mich jeweils unter @kommunikato. Du kannst den Blog via RSS oder E-Mail abonnieren.